Fast alles, was man
außerhalb der eigenen vier Wände bewerkstelligt, wird zu einem
öffentlichkeitswirksamen, kommunikativen Element. Ob allerdings die
Betrachter, von denen jeder über einen eigenen Standpunkt,
Blickwinkel, Interpretationstheorie oder Phantasie verfügt, dasselbe
verstehen, was sich der Autor eine Kommunikationsereignisses
vorgestellt oder gedacht hat, das steht auf einem anderen Stern.
Graffities, die
wichtigsten kommunikativen Elemente des öffentlichen Raumes, zählen
auf Grund ihrer Cryptologie, der Umgebungsdynamik der Orte, an denen
sie angebracht wurden und der zumeist nur dem Sprayer verständlichen,
räumlich-thematischen Zuordnung zu den am schwersten verständlichen
Kommunikationstechniken der Neuzeit. Für den Sprayer, der
möglicherweise eine exakte Vorstellung von Aussage bzw. Botschaft
seines Kunstwerkes hat, ergibt sich zuerst das Problem, daß
„Kollegen“ in der Nachbarschaft seiner Malerei Symbole und
Zeichnungen anbringen, die das Individualkunstwerk so in
unbeabsichtigte Zusammenhänge bringen und Gesamteindrücke entstehen
lassen, die von der eigentlichen „Message“ ablenken oder eine
neue, unbeabsichtigte Sinnkombination entstehen lassen.
Mit der Zeit gesellen
sich an einem Spraypunkt so viele unterschiedliche Details und
Einzelbotschaften zusammen, daß die Phantasie des Betrachters oder
Übersetzers vermeintliche „Bildaussagen“ zu erkennen beginnt,
die vermutlich mit dem initialen Kunstwerk überhaupt nicht in
Zusammenhang stehen, auf den städtischen Betonmauer-Plakatwänden
der Sprayer aber zusammenwachsen und als Ganzes gelesen bzw. gesehen
werden.
Nun sind Sprayplätze
limitiert und dadurch charakterisiert, daß sie zuerst ungestörtes,
künstlerisches Arbeiten ermöglichen müssen, was die Abwesenheit
von Überwachungskameras und Publikumsverkehr voraussetzt. Brücken,
Unterführungen, Mauern, Straßen- und Bahnrandanlagen, alte
Fabrikgelände, verlassene Gebäude und Elektroschaltkästen sind
daher der häufigste Ersatz für Leinwände in Malerateliers. Hier
findet man, wenn man über ein aufmerksames Auge und Sinn für
Beobachtung verfügt, die „Frankfurter Wespe“.
Wie kein anders
„Werkthema“ der Sprayerkultur hat sich die Wespe zu einem
omnipräsenten Kunstwerk entwickelt, daß aufmerksame Fußgänger,
Radfahrer, Wanderer oder Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel, die
ihre Blicke aus den Fenstern von Bussen und Bahnen schweifen lassen,
erleichtert aufatmen läßt, wenn man ihrer gewahr wird. „Gott sei
Dank, die Wespe“ denkt man oft, wenn man unter den öden
Zementmassen der Autobahnbrücken den schwarz-weiss-gelben Farbpunkt
zwischen oft nicht als „Kunstwerken“ zu bezeichnenden
Sprüharbeiten wiederfindet. Wie von einem stachelbewehrten Wächter
fühlt man sich an solch einsamen Stellen beschützt durch ihre
Anwesenheit.
Begleitet wird die Wespe,
die bisweilen sehr ähnlich, bisweilen aber auch auffallend
unterschiedlich gezeichnet ist - was auf eine Vielzahl von Autoren
hinweist und damit auf eine ausgedehnte Fan-Szene – oft von anderen
Schriftzügen, wobei, wie eingangs erwähnt, nicht notwendigerweise
ein Sinnzusammenhang zwischen Insekt und Schriftzug bestehen muss.
Sehr häufig findet man sie in Gesellschaft von SGE, IR, DNS und UF97 –
Symbolen, die allerdings in Frankfurt allgegenwärtig sind. Andere
Kombinationen wiederholen sich seltener. Je länger man sie sucht und
allerortens findet, desto mehr entsteht beim Fotografen, der sich mit
dem Insektenthema beschäftigt, der Eindruck, als sei sie Teil eines
größeren Crime-Lab´s, eine Art
„Volks-Agathe-Christie-Lesezeichen“, daß auf Grund der
Unmöglichkeit, einen neuen, gedruckten Krimi-Band bei Hugendubel auf
den Buchauslagetisch zu legen „weil er zu groß wäre“, an
Hauswände, Mauerwerk und Betonstelen gemalt wird.
Die „Frankfurter
Wespe“, man sollte sie unter Naturschutz stellen.
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Textredaktion : Peter Zanger - 15. Juni 2016
Fotos : Patricia Lince - August 2015 - Juni 2016